MANUEL FRICK
Online Porträt

Ein Zahnrad in der Konsummaschine

Wer Michèle Krüsi auf Instagram abonniert, hilft ihr beim Geldverdienen. Die Bilder fokussieren auf zwei Motiven: Ihrem Körper und dem Produkt einer grossen Marke. Die 26-jährige Alleinunternehmerin hat inzwischen mehr Abonnenten als ihr Wohnort Winterthur Einwohner.

Ein braungebrannter Rücken, weisse Plättli, rote Rosen. Michèle Krüsi kniet im Badeanzug in der Wanne, ihre Haare sind so lang, dass sie fast den Schaum berühren. Der Hersteller der Haarverlängerung ist im Bild getaggt. Über 10 000 Likes. Wisch.

Michele Krüsi auf ihrem Bett, das Oberteil bedeckt den Rücken kaum. Sie trägt Hotpants und sitzt auf ihrem Freund. Er hat kurze Jeans an und ein T-Shirt. Die Bilder sind ästhetisch, sexy, aber nicht plump. 14 500 Likes. Wisch.

Eiffelturm, Seine, Michèle Krüsi im Wahnsinnskleid auf einer Picknickdecke. Diesmal geht es darum, ein Parfumfläschchen und ein kleine Handtasche anzupreisen, der Hersteller ist verlinkt. 11 500 Likes. Wisch.

starting into the weekend like 🍾 ps. I did my elsa braid with @luxuryforprincess clip-ins #luxuryforprincess #lfphairgoals #collab

Ein Beitrag geteilt von Michèle Krüsi (@thefashionfraction) am

Für diesen Post wurde Krüsi von einem Hersteller von Haarverlängerungen bezahlt.

Die junge Unternehmerin lädt ihre Fotos auf Instagram hoch, weil sie, wie sie sagt, ihre Begeisterung für Mode und Schönheit gerne mit anderen Menschen teilt. Aber sie tut es nicht nur darum. Sondern weil sie damit die Schönheitsindustrie an ihre Hauptzielgruppe führen kann. Mittlerweile folgen ihr rund 179 000 junge Menschen, die meisten weiblich und modeinteressiert.

Die Industrie bezahlt Krüsi für ihre Werbebeiträge, mittlerweile ist ihre Arbeit zu einem Beruf geworden, das PR-Wort dafür heisst Influencerin, Einflussnehmerin. In der Branche ist sie die Nummer 16 der Schweiz, zumindest steht es so auf likeometer.ch. Die Webseite ist das Projekt eines selbständigen Software-Programmierers, der auch für das Medienunternehmen Ringier arbeitet. Auf Platz 1 ist eine Zürcherin mit über 1,4 Millionen Abonnenten; sie macht in ihren Bildern konsequent auf Sex.

«Am Anfang habe ich mich ein bisschen geschämt. Wenn du jemandem sagst, ich habe eine Webseite über mich selber, denkt doch jeder, die ist eine Narzisstin.»

Krüsi beschränkt sich nicht nur aufs Verkaufsfördern. Zwei Tage pro Woche studiert sie Visuelle Kommunikation an der Schule für Gestaltung, zudem arbeitet sie als Grafikerin in einem 70-Prozent-Pensum bei einer Werbeagentur in Zürich. Dort trifft man sie über Mittag, im Dachterrassen-Restaurant über dem Modehaus Modissa — da, wo ein Espresso fünf Franken kostet. «Meine Wahlheimat ist Winterthur», sagt sie. «Zürich gefällt mir nicht so, ist mir schon zu gross, ich komme ja aus einem kleinen Dorf.»

Zuerst wusste niemand vom Blog

Dort, im Thurgauer Braunau, 765 Einwohner, 0 Modeinteressierte, machte die heute 26-Jährige den ersten Schritt in die virtuelle Welt der Fashionistas. Damals war sie noch ein Teenie und das Wort Instagram gab es nur im Vokabular von IT-Nerds. Krüsi schrieb einen Blog, um sich mit der Welt auszutauschen — doch im Dorf wusste niemand davon, weder Eltern noch Freunde. «Am Anfang habe ich mich ein bisschen geschämt», sagt sie heute. «Wenn du jemandem sagst, ich habe eine Webseite über mich selber, denkt doch jeder, die ist eine Narzisstin.»

Nach der Lehre hörte sie mit dem Bloggen auf und begann erst wieder, als die Werbeagentur, für die sie seit fünf Jahren arbeitet, sie dazu anspornte. Vor zwei Jahren expandierte sie auf Instagram. Mit der explodierenden Zahl von Abonnenten kamen auch Anfragen von Firmen wie Swarovski, Chloé und Cartier. Ganze Abteilungen sind damit beschäftigt, nach geeigneten Influencerinnen zu suchen.

Sich selber bezeichnet Krüsi lieber als Bloggerin denn als Influencerin. «Wegen dem negativen Touch», sagt sie. «Mein Ziel ist es ja nicht, Leute zu beeinflussen, etwas zu machen oder zu kaufen. Das ist nur ein Nebeneffekt.» Wirklich? Würde sie ihr Publikum nicht zum Kaufen verführen, hätte sie diesen Job nicht. Und in dieser Branche wird immer mehr Geld gemacht. Kingfluencers zum Beispiel, die grösste Schweizer Agentur, die auf die Vermittlung von Influencern spezialisiert ist, wächst stark. «Anfang Jahr hatten wir noch vier Mitarbeiter, jetzt sind es zwölf», sagt Geschäftsführer Fabian Plüss.

Das Ziel ist emotionale Bindung

Die Vorteile der boomenden Marketingstrategie erklärt er so: «Der Mensch hört von Geburt an auf seine Mitmenschen. Zuerst sind es Eltern, dann Freunde und später auch Personen, denen man in den sozialen Medien folgt. Wegen der gleichen Interessen fühlt man sich auch mit ihnen emotional verbunden und sie zeigen einem, was sich in ihrem Alltag abspielt und welche Produkte sie dabei begleiten.»

Das Modell lohnt sich offensichtlich auch für Michèle Krüsi: «Eigentlich müsste ich nicht mehr im Angestelltenverhältnis arbeiten», sagt sie. Eine genaue Summe will sie nicht nennen; der Marktwert eines Influencers lässt sich aber in etwa abschätzen. Ausschlaggebend sind die Anzahl der Abonnenten und die sogenannte Engagement-Rate, also wie oft ein Beitrag gesehen, kommentiert, geliked und geteilt wird. Solche Indikatoren berücksichtigt das Online-Analyse-Tool influencerdb.net und gibt den durchschnittlichen Wert eines Posts an.

Bei Michèle Krüsi: rund 830 Franken. Im September hat sie auf ihrem Instagram-Profil 7 von 34 Bildern klar als Werbung deklariert. Macht knapp 6000 Franken. Und Instagram-Stories — Fotos und Videos, die nach 24 Stunden wieder gelöscht werden — sowie Einnahmen aus ihren Blog-Aktivitäten sind noch nicht in diese Rechnung einbezogen. Allerdings habe sie auch Ausgaben, um die Professionalität ihres Auftritts sicherzustellen, sagt Krüsi. Das Einkommen teilt sie deshalb mit Fotografen, Webdesignern und Managern.

Girls just wanna have sun. 🌻 (and @chimieyewear matching their outfits) #iwearchimi #onepairisnotenough

Ein Beitrag geteilt von Michèle Krüsi (@thefashionfraction) am

Michèle Krüsi wirbt für eine Sonnenbrille. Für einen durchschnittlichen Werbe-Post erhält die Influencerin 830 Franken.

Die Aussicht auf viel Geld und geschenkte Luxusprodukte zieht viele Mädchen so stark an wie ein Bonus den Investmentbanker. Manchmal bitten einige von ihnen Krüsi um Tipps für den schnellen Erfolg. Ihre Antwort warnt vor dieser Hoffnung: «Unter Umständen machst du das erst mal drei Jahre lang für nichts ausser die eigene Freude daran. Darum gibt es auch so viele, die nach kurzer Zeit wieder aufhören.»

Was sie macht, sieht aus wie leicht verdientes Geld. Es sei aber harte Arbeit: «Ich investiere 30 Stunden pro Woche.» In dieser Zeit wirbt sie nicht nur innerhalb ihrer Online-Gefolgschaft, sondern nutzt diese auch, um die Reichweite von Offline-Werbekampagnen zu erhöhen.

Etwa bei einer Produktlancierung in der Zürcher Bahnhofstrasse: Michèle Krüsi geht hin, per Instagram fordert sie ihre Abonnentinnen auf, sie zu besuchen. Oder sie hält Werbeveranstaltungen mit Fotos und Videos auf Instagram fest — wie kürzlich am Zürcher Filmfestival die sogenannte «Dyson Night», ein Werbestand für einen Föhn, der knapp 500 Franken kostet.

Ein Interview hat seinen Preis

Ein solcher Anlass könnte als Beispiel in einem Lehrbuch für moderne Marketingstrategien stehen. Lektion 1: Das Testimonial-Marketing. Der Auftritt einer prominenten Person erhöht die Glaubwürdigkeit der Werbebotschaft. Für den Föhnhersteller trat am Filmfestival das Supermodel Alessandra Ambrosio auf und gab Interviews unter der Bedingung, dass sie «auch kurz über einen bestimmten Föhn sprechen darf», wie 20min.ch transparent machte.

Lektion 2: Das Empfehlungsmarketing, auch Mundpropaganda, basierend darauf das Influencer-Marketing. Hier kommt Michèle Krüsi zum Einsatz. Einen Tag nach der «Dyson Night» beschreibt sie in ihrem Blog, wie man vor einem Anlass wie dem Filmfestival in letzter Minute eine tolle Frisur kreiert. Dabei helfe «ein guter Haartrockner wie der Dyson Supersonic» — der Onlineshop des Herstellers ist gleich verlinkt.

«Ich bin eigentlich ein langweiliger Mensch.»

Krüsi ist ein Zahnrad in der von Marketing geschmierten Konsummaschine. Sie wirkt unschlüssig, wenn man ihr dazu kritische Fragen stellt. Ihre Antworten sind oft widersprüchlich: «Was ich mache, regt die Leute je nachdem an, mehr zu konsumieren — was ja nicht wirklich positiv ist.» Aber sie müsse immer wieder neue Produkte präsentieren, weil es den Leuten sonst langweilig werde.

Dafür rufe sie dazu auf, Kleidungsstücke nochmals zu tragen oder anders zu kombinieren. «Fast Fashion» wolle sie nicht mehr unterstützen. «Früher bin ich in den H&M gegangen und habe 15 neue Sachen gekauft, die ich nur einmal anzog, weil es gerade Trend war. Heute kaufe ich lieber nur etwas. Eine Tasche kostet dann vielleicht mal 2000 Stutz, aber ich weiss, dass ich lange Freude daran haben werde.»

Die Influencerinnen und Influencer des Themenbereichs Mode und Schönheit bilden eine kleine Szene. Man folgt sich gegenseitig online, trifft sich an Werbeveranstaltungen, trinkt vorher einen Kaffee zusammen. Die Anlässe selber findet Krüsi dann «meistens eher stier». Viele Kolleginnen würden dort keinen Alkohol trinken, sie eingeschlossen, und gingen früh nach Hause. «Schlussendlich ist es halt doch Arbeit. Jeder gibt sich Mühe, möglichst gut rüber zu kommen.» Sie gehe sowieso nur zu wenigen, ausgewählten Events, und fühle sich dort schnell unwohl, weil die Modewelt doch ziemlich oberflächlich sei. «Und ehrlich gesagt bin ich am Freitag- oder Samstagabend auch gerne zu Hause, am liebsten immer. Ich bin eigentlich ein langweiliger Mensch.»

 

Text: Manuel Frick
Bilder: Instagram/Melina Anderwert + Michèle Krüsi
Publiziert: 26.10.2017
Medium: Der Landbote