MANUEL FRICK
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Zürcher Stiftung baut Veloverleih in Kairo auf

Das heisse und notorisch verstopfte Kairo lädt kaum zum Velofahren ein. Doch genau hier investiert die Zürcher Drosos-Stiftung 1,5 Millionen Dollar in den Aufbau eines Veloverleihs. Geschäftsführer Richard Brogle erklärt im Interview, wieso er an den Erfolg glaubt.

Die Drosos-Stiftung investiert in den Aufbau eines Veloverleihs in Kairo. In der Stadt ist es derzeit um die 40 Grad heiss und die Luft ist stark verschmutzt. Wer will da Velo fahren?

Richard Brogle: Im Sommer ist es tatsächlich sehr heiss, und viele Leute sind auf den öffentlichen Verkehr angewiesen. Als ich in Kairo das letzte Mal einen Bus ­benutzt habe, hatte der keine Klima­anlage, und ich fand wie viele andere keinen Sitzplatz. In der Metro sieht es ähnlich aus. Da wäre mir eine Velofahrt mit ein bisschen Fahrtwind eigentlich lieber gewesen. Ich glaube, dass viele Kairoerinnen und Kairoer ähnlich denken und gerne einmal ein Velo benützen, auch wenn es etwas wärmer ist.

Trotzdem: Es gibt keine Velo­wege, die Strassen sind notorisch verstopft und der Fahrstil in Ägypten ist halsbrecherisch.

Ohne Velowege macht ein Verleihsystem wirklich keinen Sinn. Viele Ägypterinnen und Ägypter würden sich nicht neben einem Auto auf dieselbe Spur trauen. Darum beinhaltet unser Projekt auch eine Zusammenarbeit mit der Regierung, die in einem ersten Schritt rund 30 Kilometer Veloweg zwischen der Altstadt und der Universität Kairo bauen wird.

«Insbesondere in der Mittelschicht wird Velofahren zum Trend.»

Richtet sich das Projekt also vor allem an Studenten?

Ja, denn die Nachfrage scheint dort sehr gross zu sein. 2013 wurde an der Universität Kairo eine Umfrage gemacht, bei der 87 Prozent der Befragten angaben, für die letzten paar Kilometer auf dem Weg zur Uni ein Velo benützen zu wollen. Viele reisen mit der Metro an und brauchen für die letzte Strecke zwischen der Station und ihrem Institut besonders viel Zeit. Die Umgebung der Universität zählt zu den Gebieten, die besonders verstopft sind. Das Velo kann hier eine wirkliche Alternative bieten, weil es deutlich schneller als alle anderen Transportmittel ist, wenn Velowege zur Verfügung stehen.

Wie viele Velos und Verleihstationen umfasst das Projekt?

In einem ersten Schritt sind 300 Velos und rund 20 Stationen geplant, viele davon in der Nähe von Metroeingängen. Wenn der Verleih sich als Erfolg erweist, wollen wir das Projekt später auf weitere Gebiete in Kairo oder auch auf andere Städte ausweiten.

Abgesehen von den Studierenden ist die Akzeptanz aber vermutlich nicht besonders hoch. Die einzigen Velos, die man im Strassenbild sieht, werden von Brotlieferanten benützt. Velofahren wird oft mit der Unterschicht assoziiert. Wie wollen Sie die breite Masse erreichen?

Zurzeit gibt es noch relativ wenig Velos, aber es beginnt sich zu ändern. In den letzten Jahren haben sich mehrere Veloklubs gebildet, die einen recht grossen Zulauf haben. Ihre Mitglieder fahren in Gruppen, vor allem am arbeitsfreien Freitag, wenn es deutlich weniger Verkehr hat. Insbesondere in der Mittelschicht wird Velofahren zum Trend. Eine Mitarbeiterin in unserem Büro in Kairo hat mir vor kurzem erzählt, sie habe gerade das erste Velo in ihrem Leben gekauft. Sie hat sich sehr über den Kauf gefreut.

Auch in der Stadt Zürich kennt man einen Veloverleih. Hat Züri rollt beim Projekt in Kairo als Vorbild gedient?

Die Situation in Kairo ist ganz anders. Dort gibt es viele Menschen, die sich kein Velo anschaffen können. Erstens ist es für sie zu teuer, und zweitens hätten sie gar keinen Platz, wo sie es sicher ­versorgen könnten. Für beide Probleme ist die Miete eine gute Lösung.

«Der Gouverneur von Kairo hat sich vor kurzem dazu verpflichtet, die Velowege zu bauen.»

Und wie hoch wird diese Gebühr sein?

Wir sind erst in der Konzeptionsphase, die Details werden jetzt erarbeitet. Das Angebot soll jedoch so günstig sein, dass es für viele erschwinglich und im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln konkurrenzfähig ist.

Ab wann werden in Kairo Studen­tinnen und Studenten mit dem Velo zur Uni fahren?

Wir gehen davon aus, dass die ersten Stationen und Velowege Anfang nächstes Jahr stehen werden. Zurzeit sind Experten damit beschäftigt, die optimalen Standorte und Velorouten festzulegen. In den nächsten Monaten werden die baulichen Massnahmen eingeleitet.

In ägyptischen Medien war zu lesen, dass die Drosos-Stiftung 1,5 Millionen US-Dollar in das Projekt investiert. Was deckt dieser Betrag ab?

Der Projektrahmen umfasst die Konzipierung, die Anschaffung der Velos, den Bau der Verleihstationen und die Anschubfinanzierung für einen mehrjährigen Betrieb. Die Idee ist, dass wir uns dann zurückziehen und das Projekt in lokalen Händen weiter ­gedeiht. So wollen wir die Nachhaltigkeit sicherstellen. Der Verleih soll sich mit Einkünften aus Mietgebühren und allenfalls auch über Werbeeinnahmen und Sponsoring finanzieren. Wenn ich mir das heutige Medienecho in Ägypten anschaue, dann ist es durchaus realistisch, dass dies gelin­gen kann.

Mit wem arbeiten Sie bei ­die­sem Projekt zusammen, und welche Rolle spielt die Drosos-Stiftung?

Unser wichtigster Partner ist das UNO-Programm Habitat, dessen Büro in Kairo auf unsere Mitarbeitenden vor Ort zugekommen ist. Zuerst ging es um eine Bus-Variante, doch im gemeinsamen Gespräch sind wir darauf gekommen, dass ein Velo-Projekt sinnvoller ist. Wir unterstützen den Aufbau des Veloverleihs finan­ziell und sind bei der Konzeption der Stationen dabei. UNO-Habitat wird ein lokales Sozialunternehmen mit der Verwaltung des Verleihs betrauen und unterstützt die Regierung beim Bau der Velorouten. UNO-Habitat hat bereits in einer relativ frühen Phase die Regierung kontaktiert und ist sofort auf ­offene Ohren gestossen. Der Gouverneur von Kairo möchte das Verkehrsproblem schon seit längerem angehen und hat sich vor kurzem dazu verpflichtet, die Velowege zu bauen.

Die Drosos-Stiftung ist schon seit über zehn Jahren in Ägypten tätig und hat verschiedene Projekte umgesetzt. Hat sich die Zusammenarbeit mit der Regierung durch die politischen Umwälzungen verändert?

Unsere Projektarbeit wurde kaum beeinträchtigt. Wir haben zu allen Zeiten offen über unsere Projekte und thematischen Schwerpunkte informiert, sowohl die Öffentlichkeit wie auch Regierungsstellen. Der Aufbau von Vertrauen ist in der arabischen Welt besonders wichtig. Ich habe immer wieder Regierungsstellen besucht und bei spannenden Gesprächen viel guten Tee getrunken. Man muss sich Zeit nehmen, um die eigenen Standpunkte zu erklären und allen­falls auch zu verteidigen. Wenn man aus Europa kommt, muss man immer daran denken, dass es zum Beispiel für die Eröffnung eines Büros nicht ratsam ist, nur die rein formalen Anforderungen zu erfüllen. Man muss genug Zeit, Interesse und Wertschätzung mitbringen, wenn man in der arabischen Welt weiterkommen will. Gerade auch bei den Behörden.

 

Text: Manuel Frick
Bild: Manuel Frick (2015)
Publiziert: 08.08.2017
Medium: Zürcher Regionalzeitungen