MANUEL FRICK
Muslime News Online

Wie der Chef der deutschen Bundespolizei die Abholung des Ali B. einfädelte

Der deutsche Bundespolizei-Präsident Dieter Romann holte den mutmasslichen Mörder von Susanna F. höchstpersönlich aus dem irakischen Kurdengebiet. Die Aktion könnte ein politisches Nachspiel haben.

Es war eine Aktion wie in einer «Tatort»-Folge: Der Chef persönlich – in diesem Fall der Bundespolizei-Präsident Dieter Romann – kümmerte sich um den Fall des ermordeten Mädchens Susanna, der ganz Deutschland bewegte. Am Samstag flog er mit einem Team von Spezialkräften in einer Lufthansa-Maschine ins nordirakische Erbil, um den tatverdächtigen Iraker Ali B. nach Deutschland zu holen. Kurdische Sicherheitskräfte hatten den Flüchtigen kurz zuvor festgenommen und übergaben ihn nun den deutschen Beamten. Dann flog Romann mit dem mutmasslichen Mörder zurück nach Deutschland, wo dieser die Tat umgehend gestand. Endlich konnten die Deutschen aufatmen.

Kein Auslieferungsgesuch gestellt

Doch wie gelang dem Chef der Bundespolizei dieser Coup? Deutschland hatte noch gar kein Auslieferungsgesuch für Ali B. gestellt; die Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak wären also in keiner Weise zur Übergabe des Tatverdächtigen verpflichtet gewesen. Romann stellte den Ablauf gegenüber der «Bild»-Zeitung simpel dar: Der Vertreter der kurdischen Regionalregierung in der Bundesrepublik, Dilshad Barzani, habe eine Abschiebung nach Deutschland angeboten. «Ich habe diesem Wunsch entsprochen.»

Es dürfte sich also um einen Gefallen gegenüber Deutschland handeln. Die Bundeswehr trainiert seit 2014 die Peschmerga genannten Streitkräfte der autonomen Region und liefert Waffen. Nun hatte die kurdische Regierung Gelegenheit, ihre Dankbarkeit auszudrücken.

Gute Kontakte zum Barzani-Clan

Zu Romanns Erfolg beigetragen haben dürften seine guten Kontakte zum Barzani-Clan, der im kurdischen Teil Iraks den Ton angibt. Romann war laut einem Bericht der «Süddeutschen Zeitung» immer wieder zu Besuch im Irak. Deutsche Polizeieinheiten halfen schon 2004 bei der Ausbildung irakischer Beamter, und bis heute engagiert sich die Bundespolizei über die EU-Mission EUAM im Land. Die «Bild»-Zeitung berichtet, Romann sei seit über einem Jahrzehnt mit Masoud Barzani, dem De-facto-Präsidenten der irakischen Kurden, und dessen Familie befreundet. Und dazu gehört natürlich auch sein Bruder Dilshad Barzani, der Romann offenbar die Abschiebung von Ali B. nach Deutschland angeboten hatte.

Erstaunlich ist nur, dass Romann für sein hemdsärmliges Vorgehen in Deutschland zwar viel Applaus erhielt, aber sein eigener Chef, Innenminister Horst Seehofer (CSU), am Erfolg nicht teilhaben wollte. Die Aktion sei «komplett» von der Bundespolizei ausgeführt worden, sagte seine Sprecherin am Montag. Romann habe in Eigeninitiative gehandelt, Seehofer sei nicht informiert gewesen. Darauf wandte sich Romann an die Presse und stellte klar, «dass der Bundesminister des Innern und der zuständige Staatssekretär über die in Rede stehenden präventivpolizeilichen Massnahmen laufend informiert waren». Am Dienstag liess das Innenministerium dann verlauten, dass Seehofer entgegen der ersten Darstellung durchaus über Romanns Reise informiert war.

Aktion birgt politische Brisanz

Das Hickhack um die Verantwortlichkeit hat womöglich einen nachvollziehbaren Grund: Romanns Aktion ist laut Darstellung des «Spiegels» sowohl innen- als auch aussenpolitisch brisant. Innenpolitisch, weil Romann das reguläre Auslieferungsverfahren mit seinen Kontakten nach Erbil nicht etwa beschleunigte, sondern umging. Und ein solches Verfahren liegt in der Kompetenz des Auswärtigen Amtes sowie des Bundesjustizministeriums. Dass Innenminister Seehofer zuerst nichts von Romanns Reise gewusst haben wollte, spricht dafür, dass man in Berlin wegen der Aktion keinen Zwist am Kabinettstisch entstehen lassen will.

Die aussenpolitische Brisanz liegt in der Umgehung der irakischen Zentralregierung. Die kurdische Region im Norden des Landes strebt die Unabhängigkeit an, was Bagdad verhindern will. Die Kooperation zwischen der Bundespolizei und den kurdischen Sicherheitskräften könnte von der Zentralregierung als Unterstützung der Sezessionsbestrebungen gewertet werden.

Bagdad ist verärgert

Tatsächlich zeigte sich Bagdad am Mittwoch verärgert über Romanns Aktion: Die Übergabe des Tatverdächtigen sei ein Rechtsverstoss gewesen, teilte das irakische Aussenministerium mit. Nur das Justizministerium der Zentralregierung habe die Befugnis für eine Auslieferung von Gesuchten. Den Verstoss hätten sowohl die kurdische Regionalregierung als auch Deutschland begangen, so die Kritik aus Bagdad.

 

Text: Manuel Frick
Bild: Jeffrey Beall / flickr
Publiziert: 13.06.2018
Medium: NZZ.ch