MANUEL FRICK
Gesellschaft Interview Print

Schweizer Hindu gründen Dachverband mit zwielichtigem Mitglied

Seit Sonntag ist Winterthur Sitz eines hinduistischen Dachverbands. Vorstandsmitglied Christoph Truttmann spricht im Interview über die Anliegen der Hindu und die zwielichtige Vergangenheit eines lokalen Mitgliedvereins.

Wieso braucht es in der Schweiz einen hinduistischen Dachverband?

Christoph Truttmann: In der Schweiz leben mehr als 50 000 Hindu. Ihre Herkunft ist sehr vielfältig: Rund 40 000 stammen aus Sri Lanka, etwa 10 000 aus Indien und Nepal und zudem gibt es auch einige Hindu mit Schweizer Wurzeln. Der Dachverband soll die Zusammenarbeit fördern und die Möglichkeit schaffen, mit einer gemeinsamen Stimme aufzutreten.

Und wofür wird sich diese Stimme einsetzen?

Wir wollen auch in der Schweiz als ernst zu nehmende, authentische Religion wahrgenommen werden. Dazu muss vor allem mehr Wissen über den Hinduismus vermittelt werden, denn Aussenstehenden fehlen oft der Zugang zur Religion und ein gewisses Verständnis.

Christoph Truttmann, Pressesprecher des neu gegründeten Hindu-Dachverbands. Bild:zvg

Was ist das grösste Missverständnis zwischen den Hindu und der Mehrheitsgesellschaft?

Da fallen mir mehrere Stichwörter ein, zum Beispiel das Kastensystem. Wer davon hört, denkt oft an Diskriminierung und Machtmissbrauch. Der ursprüngliche Gedanke war aber ein positiver. Leider wurde das Kastensystem über Jahrhunderte von den Eliten missbraucht und verfälscht. Deshalb lehnen es heute viele Hindu ab. Ein weiteres Beispiel ist das Karma. Die Idee, dass jede Handlung eine Folge hat – im gegenwärtigen Leben oder in einem zukünftigen. Manche Leute denken: Wenn jemand ein gesundheitliches Problem hat, liegt das an seinem schlechten Karma. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht die Verantwortung habe, der Person zu helfen. Im Gegenteil: Wenn ich ihr nicht helfe, bedeutet das ein schlechtes Karma für mich.

Führen solche Missverständnisse zu konkreten Problemen im gesellschaftlichen Leben?

Die falschen Vorstellungen äussern sich manchmal in einer ablehnenden Haltung gegenüber Hindu. Das macht auch die Integration schwieriger. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Bereits vor der Gründung des Dachverbandes hat mich ein Hindu kontaktiert, der am Basler Fasnachtsumzug eine Figur der Gottheit Ganesha sah. Er war über die Art der Darstellung schockiert, denn die Fasnächtler hatten Ganesha einen ausgestreckten Mittelfinger verpasst. Das hat seine religiösen Gefühle verletzt.

Werden Sie in diesem Fall etwas unternehmen?

Der Dachverband hat sich gerade erst gegründet, aber der Fall kommt auf unsere Agenda. Wir werden sicher mit den Veranstaltern in Kontakt treten. Als Dachverband müssen wir uns für die Rechte und Interessen der Hindu in der Schweiz einsetzen.

Und in wessen Namen sprechen Sie genau? Wie viele hinduistische Gemeinschaften sind im Verband zusammengefasst?

Nach meinem Wissen gibt es in der Schweiz etwa 35 Tempel und Vereine, bei der Gründung waren rund ein Dutzend dabei. Mit den anderen stehen wir in Kontakt und hoffen, schliesslich mit allen zusammenzuarbeiten.

«Die Wahl von Susanne Rentsch als Präsidentin ist aus PR-Sicht tatsächlich ein gewagter Schritt.»

Sind Sie mit der Idee eines Dachverbands auch auf ablehnende Reaktionen gestossen?

Grundsätzlich waren alle Gemeinschaften sehr offen für die Idee. Einige hatten schon lange das Bedürfnis, eine solche gemeinsame Vertretung zu schaffen, andere haben sich noch gar nie darüber Gedanken gemacht und wollen einen allfälligen Beitritt erst noch innerhalb ihrer Gemeinschaft besprechen.

Wieso fand Ihre Gründungsversammlung in Winterthur statt?

Eigentlich hätte es irgendwo sein können, aber die ersten Gespräche und Begegnungen fanden hier statt. Zudem ist unsere Präsidentin, Susanne Rentsch, Leiterin des Omkarananda Ashram in Winterthur.

Beim Namen Omkarananda werden dunkle Erinnerungen wach. Die Stiftung bezieht sich auf den indischen Guru Swami Omkarananda, der in Winterthur auch das Divine-Light-Zentrum (DLZ) gründete. Im Jahr 1975 versuchten DLZ-Mitglieder den damaligen Zürcher Polizeidirektor Jakob Stucki mit einer Bombe zu töten.

Die Wahl von Susanne Rentsch als Präsidentin ist aus PR-Sicht tatsächlich ein gewagter Schritt. Das hätte man anders machen können. Natürlich darf man das Geschehene nicht vergessen, aber nur weil vor über 40 Jahren ein paar junge, fanatische Mitglieder Fehler gemacht haben, hat die Gemeinde trotzdem die Chance auf einen Neuanfang verdient.

Der Guru wurde damals der Anstifterrolle im Bombenanschlag für schuldig befunden und erhielt 14 Jahre Zuchthaus. Im Jahr 2000 ist er verstorben. Seine Vorträge werden aber noch heute bei Veranstaltungen im Omkarananda Ashram ab Tonband abgespielt. Das wirft schon Fragen auf.

Dazu kann ich nichts sagen. Ich selber bin Priester im Stadtzürcher Krishna-Tempel. Mit Omkarananda hatte ich vor der Gründung des Dachverbandes nicht viel Kontakt, weil dort eine andere theologische und philosophische Richtung vertreten wird.

Die Hare-Krishna-Bewegung, der Sie angehören, hat früher oft im öffentlichen Raum missioniert. Wieso hat das nachgelassen?

In den 80er- und 90er-Jahren, als die Bewegung in die Schweiz kam, hatte Hare Krishna vor allem junge Mitglieder mit einem grossen Enthusiasmus. Die meisten lebten in einem Ashram und widmeten ihre gesamte Zeit der Religion. Die Mitglieder sind oft noch dieselben, haben aber geheiratet und Kinder bekommen. Hare Krishna ist zu einer Gemeinschaft von Familien geworden.

Wie geht nun Ihre Arbeit für den Dachverband weiter?

Das Wichtigste ist sicher, weitere Mitglieder zu gewinnen, damit man auch wirklich von einem Schweizer Dachverband sprechen kann. Parallel dazu bauen wir eine Internetpräsenz auf. Auf Herbst bis Winter haben wir erste Veranstaltungen in Tempeln geplant. Und später möchten wir gerne Publikationen über den Hinduismus in der Schweiz publizieren.

 

Text: Manuel Frick
Bild: Giustiliano Calgaro/pixabay creative-commons
Publiziert: 07.04.2017
Medium: Der Landbote