MANUEL FRICK
Interview Muslime Print

«In der An’Nur-Moschee sind Tausende Franken an Spendengeldern versickert»

Verschwundene Gelder und eine Attacke auf den Mann, der laut eigenen Angaben auf die Missstände hinweisen wollte: Ein ehemaliger Besucher der An’Nur-Moschee packt aus.

In der An’Nur-Moschee liegt schon länger als bisher angenommen einiges im Argen. Die Welle negativer Presseberichte kam Ende 2014 ins Rollen, als ein Geschwisterpaar aus Töss mit Verbindungen zur An’Nur-Moschee nach Syrien gereist sein soll, um sich dort der Terrororganisation IS anzuschliessen. Die Frage, ob der Moscheeverein eine aktive Rolle bei der Radikalisierung der Geschwister sowie weiterer Winterthurer Jugendlicher gespielt hat, ist bis heute nicht beantwortet. Doch abgesehen von den Radikalisierungsvorwürfen hat sich im Hegemer Gotteshaus schon zuvor einiges abgespielt, was auf fragwürdige Zustände hinweist.

Gewalt zwischen Besuchern und verschwundene Gelder

Vor kurzem schrieb der ehemalige Moscheebesucher Talal Hassan Ismail Salah (61) der Redaktion des «Landboten», um «Informationen zur An’Nur-Moschee» mitzuteilen. Laut dem in Frauenfeld wohnhaften Muslim sind im Sommer 2014 Spendengelder im fünfstelligen Bereich verschwunden. Zudem hätten ihn im Jahr zuvor zwei Vereinsmitglieder attackiert. Die Vorfälle liegen schon einige Jahre zurück, betreffen also laut Angaben der Moschee eine Zeit, die noch nicht von den aktuellen Vorstandsmitgliedern geprägt wurde. Ismail Salah besteht darauf, dass seine Aussagen in Interviewform erscheinen. Die folgenden Auszüge geben einen Einblick in die Mechanismen des umstrittenen Moscheevereins:

 

Herr Ismail Salah, Sie haben geschrieben, Sie seien 2013 in der Moschee attackiert worden. Wie lief das ab?

Talal Hassan Ismail Salah: Die Täter waren zwei Personen aus dem Umfeld der Moschee. B. hat mich festgehalten, dann rannte A. auf mich zu und hat mir aufs Knie geschlagen. Später hat mich jemand nach Hause gefahren.

Haben Sie Anzeige erstattet?

Ich hatte starke Schmerzen und ging zu Dr. Z., meinem Hausarzt. Er war auch in der Verwaltung der Moschee tätig und hat mir geraten, Anzeige zu erstatten. Aber andere haben mir gesagt, die Moschee würde dann vermutlich geschlossen werden. Also habe ich es sein lassen. Stattdessen haben Dr. Z., der Präsident und der damalige Imam Gericht gehalten. Sie haben die beiden verpflichtet, mir jeweils 750 Franken Schmerzensgeld zu zahlen. Bis heute habe ich aber nichts davon gesehen.

Weshalb haben die beiden Sie denn angegriffen?

Weil ich B. gesagt habe, er müsse der Moschee Geld zurückzahlen. Es ging um den Verkauf von Esswaren, um Einnahmen für die Moschee zu generieren. Oft ging am Freitag jemand zu einem türkischen Restaurant, holte Kebab und Falafel und verkaufte es weiter an die Besucher. B. hat so etwas gemacht und damit 700 Franken Gewinn erzielt.

Spüren Sie die Folgen der Verletzung heute immer noch?

Ich kann nicht gut gehen und laufe krumm. Kürzlich hat mir ein Arzt gesagt, dass man das Knie eigentlich operieren müsste.

 

Die beschriebenen Knieprobleme kann Ismail Salah belegen. Ob die Beschwerden jedoch tatsächlich auf den von ihm beschriebenen Angriff zurückzuführen sind, ist nicht erwiesen. Dr. Z. reagiert ausweichend, als er telefonisch mit den Ereignissen in der Moschee konfrontiert wird: «Herr Ismail Salah ist nicht bei mir in Behandlung», sagt er. Dass er es früher war, ist aber aus dem Briefverkehr zwischen Dr. Z. und weiteren Ärzten klar ersichtlich. Weitere Fragen will Dr. Z. nicht beantworten. Er legt abrupt den Hörer auf und lässt dann über seine Praxisassistentin ausrichten, man solle ihn nicht mehr anrufen.

Einer der Angreifer wollte nach Syrien reisen

A., der Ismail Salah am Knie verletzt haben soll, wurde rund zwei Jahre nach dem Vorfall in der Moschee am Zürcher Flughafen verhaftet. Er war auf dem Weg nach Syrien. Im Juli 2016 verurteilte ihn das Bundesstrafgericht wegen eines Verstosses gegen das IS-Gesetz, wobei das Urteil noch keine Rechtskraft erlangt hat. B. war laut Angaben der Moschee früher ein Vorstandsmitglied, ist aber heute nicht mehr in der Vereinsführung aktiv. Die beiden mutmasslichen Angreifer A. und B. sowie der damalige Imam konnten für eine Stellungnahme nicht kontaktiert werden.

Der ehemalige Präsident bestätigt den Angriff

Ja, er habe zusammen mit dem damaligen Imam und Dr. Z. eine Sitzung abgehalten, um den Angriff von A. und B. auf Ismail Salah zu besprechen, bestätigt der ehemalige Präsident, Atef Sahnoun. Allerdings habe Ismail Salah danach viel mehr als die vereinbarten 1500 Franken verlangt. Plötzlich sei von einer halben Million die Rede gewesen. «Das geht natürlich nicht. Der Verein hat nicht so viel Geld», sagt Sahnoun.

Im Gespräch mit dem «Landboten» hinterlässt Ismail Salah den Eindruck eines Menschen mit einem Geltungsbedürfnis. Bevor er in die Schweiz kam, sei er ein vermögender Geschäftsmann gewesen. «Ich bin bekannt», sagt er. Fragen nach seiner aktuellen Tätigkeit beantwortet er ausweichend. Er spricht laut und antwortet ausschweifend. Das Gespräch dauert zweieinhalb Stunden und wird vom Arabischen ins Deutsche übersetzt. Oft fehlen in Ismail Salahs Wortfluss die Pausen, die der Dolmetscher zum Übersetzen bräuchte. Streckenweise wird er einsilbig oder kommt vom Thema ab – etwa bei Fragen zu radikalisierten Jugendlichen oder mutmasslichen Hasspredigern im Umfeld der Moschee. Es ist klar, dass Ismail Salah eine eigene Agenda verfolgt:

 

Herr Ismail Salah, Sie wollten auch auf das Versickern von Spendengeldern aufmerksam machen. Was ist passiert?

Vor etwa drei Jahren kam jemand während des Ramadan in die Moschee und man sagte mir, er sei Palästinenser aus Gaza. Weil ich selber von dort stamme, habe ich gemerkt: Der Mann lügt, er kommt nicht aus Gaza. Er hatte sehr starke Freundschaft geknüpft mit Scheich Abu Mohammed (früherer Imam der Moschee, dem vorgeworfen wird, bei der Radikalisierung mehrerer Winterthurer Jugendlicher eine Rolle gespielt zu haben, Anm. d. Red.). Erstaunlich war, dass der angebliche Palästinenser das Freitagsgebet sprach. Dabei habe ich gemerkt, dass er intelligent ist und die Leute überzeugen kann. Und er ist ein Schlitzohr. Zu dieser Zeit bombardierte Israel den Gazastreifen und da hat er einen Spendenaufruf für Gaza gemacht (vermutlich ist die israelische Operation «Fels in der Brandung» gemeint, die vom 8. Juli bis 26. August 2014 stattfand, Anm. d. Red.).

Offenbar haben Sie ihm nicht vertraut. Wie haben Sie auf den Spendenaufruf reagiert?

Ich habe den Vorstand gebeten, dass sie zusammen das Geld nach Gaza schicken, statt es ihm zu überlassen. Ich habe ihn verdächtigt, das Geld verschwinden zu lassen, und das auch so dargestellt. Einige Leute waren sehr unzufrieden.

Und was ist schliesslich mit dem Geld geschehen?

Am Festtag am Ende des Ramadan habe ich Scheich Abu Mohammed gefragt, wie viel Geld gesammelt wurde. Er sagte: «Maul halten, das geht dich nichts an.» Später hat man mir drei verschiedene Frankenbeträge genannt: einmal 16 500, ein anderes Mal 12 500 und dann 14 000. Ich habe den Vorstand aufgefordert, das Geld dem Uno-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge zu schicken. So wollte ich ihnen einen Weg zeigen, wie sie das Geld regulär und für alle transparent schicken können. Der Vorstand hat eingewilligt. Als ich nach einer Quittung fragte, hat mich der Präsident aber immer wieder auf später vertröstet. Am Schluss sagte er mir, es sei nicht sein Problem.

Wer ist die Person, die den Spendenaufruf gemacht hat?

Er hat mir eine Visitenkarte gegeben. Darauf steht der Name einer italienischen Firma, die allerdings gar nicht existiert. Diese Person hat viele Moscheen in der Schweiz besucht und kein Mensch hat ihn gefragt, wer er ist. Er hat in Zürich, Genf und an anderen Orten viel Geld verschwinden lassen.

Ist es möglich, dass er das Geld an eine verbotene Organisation weitergeleitet hat?

Nein, das glaube ich nicht. Er hat es für sich behalten. Ich denke aber auch nicht, dass er alleine ist, sondern mit einer Gruppe zusammenarbeitet. Aber die haben nichts mit Politik zu tun. Falls er wirklich politisch aktiv war – zum Beispiel für die Palästinenserorganisation Hamas –, dann hätte ihn Israel oder Amerika schon längst gefangen.

Haben Sie Anzeige erstattet?

Ich habe es auf Facebook und Twitter geschrieben. Aber ich vertraue der Schweizer Polizei nicht. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin seit 18 Jahren in der Schweiz und ich liebe das Schweizervolk. Aber mit der Justiz habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Zudem hat die Schweizer Polizei ihre Spitzel in der Moschee, die Behörden sind also informiert. Entweder sie wussten Bescheid, oder sie sind dumm.

 

Obwohl Ismail Salah im Interview angibt, den Behörden nicht zu trauen, legt er die Kopie eines Briefes vor, den er im Frühling 2016 an die Stadtpolizei geschickt hat. Der Brief ist unstrukturiert, enthält jedoch eine ganze Reihe an Informationen über fragwürdige Zustände in der Moschee. Unter anderem beschreibt Ismail Salah die Spendensammlung, die zum Zeitpunkt des Briefversands bereits rund zwei Jahre zurückliegt. Wieso hat er sich nach so langer Zeit trotzdem noch an die Behörden gewandt? Vermutlich, weil es kurz zuvor zu einem offensichtlichen Bruch mit dem Moscheeverein gekommen ist: Der Vorstand erteilte ihm ein Hausverbot wegen «Verfehlungen» im Vereinslokal.

Als Ismail Salah sich dann im Herbst 2016 über das Verbot hinwegsetzte, rief R., Mitglied des heutigen Vorstands, die Polizei. Auf Anfrage begründet R. das Hausverbot damit, dass Ismail Salah Geld gefordert habe wegen eines Vorfalls, der nichts mit dem aktuellen Vorstand zu tun habe – und somit auch nichts mit ihm. Damit könnte der Angriff von A. und B. auf Ismail Salah gemeint sein. Vorstandsmitglied R. sagt weiter: «Ich habe bezüglich dieses Vorfalls keine Infos vom alten Vorstand erhalten und deshalb Ismail Salah kein Geld ausbezahlt.» Da Ismail Salah daraufhin aggressiv geworden sei, habe man ihm ein Hausverbot erteilt.

Verbleib der Spendengelder bleibt nebulös

R. sagt, er könne die falsche Spendensammlung nicht kommentieren, weil er damals ein gewöhnliches Vereinsmitglied gewesen sei. «Ich habe aber mitbekommen, dass 2014 viel Geld verschwunden ist.» Scheich Abu Mohammed, laut Ismail Salah ein Freund des angeblichen Palästinensers, konnte nicht für eine Stellungnahme erreicht werden. Ob es wie von Ismail Salah behauptet auch in anderen Moscheen zu falschen Spendenaufrufen kam, ist nicht erwiesen. Entsprechende Anfragen bei Moscheen in Zürich und Genf wurden nicht beantwortet.

Der ehemalige Präsident der An’Nur-Moschee Atef Sahnoun äussert sich ausführlicher zu den Ungereimtheiten bei der Spendensammlung: «An Festtagen fanden regelmässig Sammlungen statt.» Diese seien aber immer in geregelten Bahnen verlaufen und man habe das Geld jeweils an Hilfsorganisationen wie Islamic Relief weitergeleitet. Während der von Ismail Salah erwähnten Sammlung sei er in den Sommerferien gewesen. Das Verschwinden von Spendengeldern in der Höhe von rund 16 000 Franken bestätigt Sahnoun jedoch: «Wir wurden verarscht und wissen nicht, wohin das Geld floss.»

 

Text: Manuel Frick und Jigme Garne
Bild: Marc Dahinden
Publiziert: 28.01.2017
Medium: Der Landbote