MANUEL FRICK
Interview Muslime Online Politik

«Die türkischen Truppen haben nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen unterschieden»

Abdurrahman Khalo hat in Nordsyrien jahrelang ein unabhängiges Radio in kurdischer Sprache betrieben. Im Interview berichtet er von den Auswirkungen der türkischen Offensive und seiner Sorge über eine Verfolgung durch das zurückkehrende Asad-Regime.

Herr Khalo, Sie betreiben seit Jahren ein Radio in der Stadt Kamishli an der Grenze zur Türkei. Wie hat sich Ihre Arbeit durch die türkische Offensive verändert?

Als die türkischen Truppen Kamishli ins Visier nahmen, haben sie keinen Unterschied zwischen zivilen und militärischen Zielen gemacht. Die meisten Artilleriegeschosse fielen wahllos auf die Stadt. Auch das Risiko, Ziel der türkischen Luftwaffe zu werden, war gross. Deshalb mussten wir alle unsere Aktivitäten einstellen.

Aufgrund eines Hilferufs der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) kehrt das Regime zurück in die kurdischen Gebiete – auch in Ihre Stadt. Welche Veränderungen kommen da auf Sie zu?

Die Arbeit in jedem Bereich, egal ob in den Medien, in der Politik oder in Organisationen und Verbänden, hängt davon ab, welche Vereinbarung zwischen der Selbstverwaltung und der syrischen Regierung getroffen wird. Bis jetzt gibt es nur eine rein militärische Absichtserklärung ohne politische Lösung. Wir können unsere Arbeit nur fortsetzen, wenn die syrische Regierung die Selbstverwaltung in ihrer administrativen und politischen Form anerkennt.

Und wenn es gar nie zu einem solchen Abkommen kommt? Die Position der SDF ist nun ja stark geschwächt.

Ohne eine Vereinbarung wird es für die Menschen in der Region keine Freiheit geben. Wir halten es für schwierig, sich unter der Kontrolle der syrischen Regierung frei zu bewegen. Niemand vertraut ihr.

Ihr Radio hat unter anderem in kurdischer Sprache berichtet – was unter der Regierung von Asad verboten war. Haben Sie Angst vor Strafmassnahmen?

Wenn die Selbstverwaltung und die syrische Regierung keine politische Einigung erzielen, werden mit Sicherheit alle politischen und zivilen Organisationen wie unsere Radiostation geschlossen. Es ist gut möglich, dass es dann auch zu Verfolgungen durch die syrischen Sicherheitskräfte kommt.

Die Türkei hat bereits einige Gebiete an der Grenze erobert. Es wird befürchtet, dass es dort wie in Afrin zu massiven Menschenrechtsverletzungen kommt. Wie sehen Sie das?

ie türkischen Streitkräfte arbeiten in diesen Regionen mit jihadistischen Organisationen zusammen. Wir haben Kollegen in Tell Abiad und Ras al-Ain, die uns berichten, dass sich diese Gruppen in Bezug auf ihr Verhalten und Denken kaum vom IS unterscheiden. Vertreibungen und Massenhinrichtungen sind weit verbreitet. Wir wissen zum Beispiel von einem Massaker an 25 Mitgliedern der turkmenischen Minderheit in einem Dorf in der Nähe von Tell Abiad. Zudem wurden Hunderte von IS-Familien aus einem Flüchtlingslager in Ain Issa befreit und nach Tell Abiad gebracht. Dort wohnen sie nun in Häusern, aus denen die ursprünglichen Einwohner vertrieben wurden.

Kann sich der IS auch in den von den SDF kontrollierten Gebieten wieder ausbreiten?

Ja, der IS wird auch dort wieder stärker, und die Bedrohung durch Schläferzellen nimmt zu. Bereits jetzt …

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Text und Bilder: Manuel Frick
Publiziert: 23.10.2019
Medium: NZZ