MANUEL FRICK
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Die jüdische Gemeinde hat die Sicherheit aufgestockt

Die Jihad-Anwerbeversuche in Winterthur seien kein gutes Zeichen, sagt die lokale  jüdischen Gemeinde. Sie hat in die Sicherheit investiert und arbeitet mit der Polizei zusammen.

«Wenn ich das Altpapier bündle, lege ich sicher nicht die jüdische Zeitung ‹Tachles› zuoberst auf den Stapel.» So antwortet eine Winterthurerin auf die Frage, ob sie sich als Jüdin gefährdet fühle. Persönlich sei sie zwar noch nie bedroht worden, aber sie wolle nicht, dass jeder über ihren Glauben Bescheid weiss. «So fühle ich mich einfach sicherer.»

Bund spricht von erhöhtem Risiko für Juden

Der Bund berichtete vor kurzem über eine Verschlechterung der Sicherheitslage. Nach den Terrorangriffen in mehreren europäischen Ländern habe sich das Risiko für Schweizerinnen und Schweizer jüdischen Glaubens in der Schweiz erhöht, stellte das Innenministerium in einem Anfang November publizierten Bericht fest. «Die Gefahr geht vorwiegend von jihadistischen Extremisten aus, welche organisiert oder als spontane Einzeltäter handeln.»

Auf diesen Bericht bezog sich auch der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch, als er im Dezember eine Motion einreichte. Jositsch fordert darin weitergehende Massnahmen zum Schutz religiöser Gemeinschaften. Der Bundesrat hat die Annahme der Motion beantragt; heute wird das Geschäft im Ständerat behandelt.

Lokale jüdische Gemeinde hat in die Sicherheit investiert

In Winterthur hat die lokale Israelitische Gemeinde die Sicherheit aufgestockt: Vor rund zwei Jahren wurde ein Ressort Sicherheit ins Leben gerufen, geleitet von Vorstandsmitglied Olaf Ossmann als Sicherheitsbeauftragtem. «Wir haben deutliche Mehrausgaben, weil wir in Installationen und Personelles investieren mussten», sagt Ossmann, der in diesem Bereich Erfahrung hat: Er führt eine private Sicherheitsfirma und war auch in Berlin, wo er längere Zeit gelebt hat, in Sicherheitsfragen der dortigen Gemeinde involviert. Eine konkrete Gefährdung sehe er in Winterthur momentan zwar nicht, «aber die Jihad-Anwerbeversuche im Umfeld der An’Nur-Moschee sind für uns keine guten Zeichen. Es war auch unangenehm, die Koranverteiler der ‹Lies!›-Aktion im Stadtbild zu sehen.»

«Wir ziehen es vor, möglichst unauffällig zu leben»

Jules Wohlmann, Co-Präsident der jüdischen Gemeinde

Dass der Sicherheitsbeauftragte keine konkrete Gefährdung sieht, könnte damit zusammenhängen, dass die Israelitische Gemeinde in der Öffentlichkeit kaum präsent ist. «Viele unserer Leute leben seit Generationen in der Stadt und fühlen sich gut integriert», sagt Jules Wohlmann, Co-Präsident der Gemeinde. Früher habe man sich auch bei interreligiösen Anlässen mit Christen und Muslimen beteiligt. «Heutzutage ziehen wir es aber vor, möglichst unauffällig unseren Gemeindealltag zu leben.» So sei die Gemeinde, die rund 100 Mitglieder hat, immer sehr gut gefahren.

Auch der SIG, der Dachverband der Schweizer Juden, beobachtet die Bedrohungslage genau und stellte im Sommer 2014 – zum Zeitpunkt des letzten Gaza-Kriegs – einen vorläufigen Höhepunkt fest. Neben Hassbotschaften und verbalen Angriffen auf der Strasse hatte auch die antisemitische Hetze in den sozialen Medien zugenommen. «Auf Facebook sieht man immer wieder Personen, die mit dem Islamischen Staat oder ähnlichen Gruppierungen sympathisieren und gegen Juden hetzen», sagt SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner.

Winterthurer wurde wegen Hetze auf Facebook bestraft

«Wir haben schon mehrere solche Hetzer angezeigt, die danach auch verurteilt wurden», sagt Kreutner. Einer davon stammt aus der Winterthurer Kampfsportszene, in der auch islamistische Fanatiker zu finden sind. In einem Beitrag auf einer öffentlichen Facebook-Seite schrieb der Winterthurer: «(…) Ein toter Jude ist ein guter Jude!!!!» Kreutner betont jedoch, dass er die allermeisten Muslime nicht als Judenhasser wahrnehme und Antisemitismus auch in anderen Milieus verbreitet sei. «Die Terrorgefahr geht von einer kleinen Gruppe von Jihadisten und allenfalls Rechtsextremen aus.»

In Winterthur erhält die Israelitische Gemeinde in Sicherheitsfragen Unterstützung von der Stadtpolizei. «Bei grösseren Anlässen machen wir eine Lagebeurteilung mit der Polizei und entscheiden gemeinsam über konkrete Massnahmen», sagt Sicherheitsbeauftragter Ossmann. Die Stadtpolizei bestätigt, «im Rahmen der ordentlichen Patrouillentätigkeit» Polizisten zum Schutz der jüdischen Gemeinde einzusetzen. Bisher gebe es in Winterthur aber keine Anzeichen für eine zunehmende Bedrohung.

Die Gemeinden in grossen Städten sind stärker betroffen

Die jüdische Gemeinde lobt die Zusammenarbeit mit der Stadt. «Wir haben in Winterthur keine materiellen Ansprüche», sagt Wohlmann. «Die Motion von Ständerat Jositsch unterstützen wir jedoch solidarisch.» Denn konkret davon betroffen seien die grossen jüdischen Gemeinden in Zürich, Basel und Genf.

Das sieht auch Historiker Peter Niederhäuser so, der sich intensiv mit der jüdischen Gemeinschaft in Winterthur auseinandergesetzt hat. «Hier sind Juden im Strassenbild nicht erkennbar.» Zudem gebe es in Winterthur weder eine Synagoge mit Rabbiner noch eine jüdische Schule. Lediglich einen unauffälligen Betsaal. «Und am Sabbat mit dem Zug oder dem Auto in eine der grösseren Städte zu fahren, ist orthodoxen Juden nicht erlaubt.» Wer streng religiös lebe, ziehe deshalb eher nach Zürich.

 

Text: Manuel Frick
Bild: pixabay creative-commons
Publiziert: 09.03.2017
Medium: Der Landbote