MANUEL FRICK
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«Christian I. darf nicht durch die Verwaltung ausgebürgert werden»

Der Bund will den mutmasslichen Jihad-Reisenden Christian I. aus Winterthur ausbürgern. Staatsrechtsprofessor Rainer Schweizer zweifelt die Rechtmässigkeit des Verfahrens an. Das Vorgehen entziehe Schweizer Bürgern Grundrechte.

Der Wülflinger Christian I. ist bestimmt kein vorbildlicher Schweizer Bürger. Er konvertierte zum Islam, nahm radikale Ansichten an und reiste schliesslich nach Syrien, um der Terrororganisation IS beizutreten. Als der Journalist Kurt Pelda per Facebook mit Christian in Kontakt trat, äusserte dieser die Absicht, im Dienste des IS Menschen köpfen zu wollen. Im Juni 2015 kontaktierte ein deutscher IS-Jihadist den Journalisten Pelda, um ihm mitzuteilen, dass Christian als Märtyrer gefallen sei.

«Über die Grundrechte kann die Verwaltung nicht verfügen.»

Rainer Schweizer, Professor für Staatsrecht

Rund ein Jahr später eröffnete das Staatssekretariat für Migration (SEM) ein Ausbürgerungsverfahren gegen Christian, der laut SEM «zurzeit unbekannten Aufenthaltes» ist. Christian besitzt neben der schweizerischen auch die italienische Staatsbürgerschaft, würde also – sofern er noch lebt – nicht zum Staatenlosen werden.

Der Fall müsste vor Gericht

Das Gesetz, das den Entzug des Bürgerrechts erlaubt, gibt es seit 1953, wurde aber noch nie angewendet. «Und das kommt nicht von ungefähr», erklärt der emeritierte St. Galler Staatsrechtler Rainer Schweizer. «Das Gesetz steht im Widerspruch mit der Bundesverfassung.» Der Hauptzweck der Ausbürgerung von Christian sei es, gegen ihn eine Einreisesperre zu verhängen oder ihn aus der Schweiz auszuweisen. Der Schutz vor solchen Massnahmen ist aber ein in der Verfassung verbrieftes Grundrecht eines Schweizer Bürgers. Da durch den Entzug des Bürgerrechts die Grundrechte tangiert werden, ist für Staatsrechtler Schweizer klar, dass nur das Bundesgericht über den Fall von Christian I. befinden kann. «Über die Grundrechte kann die Verwaltung nicht verfügen.»

Das SEM hat Christian aufgefordert, innerhalb eines Monats nach Eröffnung des Verfahrens Stellung zu nehmen. Auch einen allfälligen Entscheid könnte Christian laut SEM am Bundesverwaltungsgericht oder am Bundesgericht anfechten. Das klingt ziemlich grotesk. Denn falls Christian überhaupt noch lebt, befindet er sich höchstwahrscheinlich ausser Landes und weiss unter Umständen gar nichts vom laufenden Verfahren.

Ein unfaires Verfahren

Für Rainer Schweizer ist das Ausbürgerungsverfahren deshalb nicht nur verfassungswidrig, sondern zudem auch unfair. «Das SEM muss dem Mann, der offensichtlich nicht prozessfähig ist, einen Anwalt oder eine Anwältin bestellen, damit der Fall an die Justiz gelangt.» Dem widerspricht das SEM: «Es besteht kein Anwaltszwang.» Grundsätzlich könne sich aber jede Partei im Verwaltungsverfahren vertreten lassen.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass sich Christian I. melden oder einen Anwalt beiziehen wird. Da Christian vermutlich in Syrien zu Tode gekommen ist, stellt sich auch die Frage nach dem Sinn des Verfahrens. «Es kann gut sein, dass das SEM einen einfachen Präzedenzfall schaffen will», sagt Schweizer. Da Christian auch italienischer Staatsbürger ist, könne so niemand sagen, dass er in einen Unrechtsstaat abgeschoben werde.

 

Text: Manuel Frick
Bild: Pixabay creative-commons
Publiziert: 31.08.2016
Medium: Der Landbote