MANUEL FRICK
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So versanden Reformen in Winterthur

Fünf statt sieben Stadträte: Das hatte die Regierung für die Wahlen 2018 angekündigt. Jetzt verschiebt sie das Sparprojekt. Die Fraktions-Präsidenten haben die Reform längst abgeschrieben.

Sparen ist einfacher bei den anderen als bei sich selbst. Das scheint auch dem Stadtrat so zu gehen. Beim Personal hat die Stadt seit der Umsetzung des Sparprogrammes Effort 14+ rund 22 Millionen Franken eingespart. Sie baute Stellen ab und setzte ordentliche Lohnmassnahmen aus.

Der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) spricht mittlerweile von einem «Abbau-Wahn». Ein Punkt aus dem Sparpaket geriet allerdings völlig in Vergessenheit: «5 statt 7». Die Anzahl der Sitze im Stadtrat soll damit auf fünf schrumpfen.

Eine beschlossene Sache

Bei der Ankündigung des Sparprogramms vor drei Jahren wollte der Stadtrat ein Zeichen setzen: «Wir sparen auch bei uns selbst», sagte Stadtpräsident Michael Künzle (CVP). «Im Stadtrat haben wir die Verkleinerung bereits beschlossen.» Bei den nächsten Wahlen im Jahr 2018 solle es so weit sein.

Um eine solch tiefgreifende Verwaltungsreform umzusetzen, braucht es eine Änderung der Gemeindeordnung, die eine Art Verfassung der Stadt darstellt. Darüber muss der Gemeinderat entscheiden und allenfalls auch das Volk. Die Vorbereitungen dieser Geschäfte hat der Stadtrat jedoch nie verlauten lassen. Der «Landbote» hat deshalb beim Stadtpräsidenten nachgefragt.

«Nicht weiter vertieft»

«Das Projekt 5 statt 7 wurde – mit Ausnahme einiger Gespräche – nicht weiter vertieft», lautet die Antwort von Künzle. Der Stadtrat habe sich intensiv mit anderen Projekten der beiden Sanierungsprogramme Effort14+ und Balance beschäftigt. Diese hätten Vorrang gehabt. Die Stadtregierung wird das Thema laut Künzle im Rahmen ihrer Halbzeitbilanz weiter bearbeiten. «Klar erscheint jedoch, dass eine Umsetzung einer solchen Verwaltungsreform auf 2018 hin nicht realistisch ist.»

Im Grossen Gemeinderat ist niemand überrascht, dass der Stadtrat die Reform stiefmütterlich behandelt. «Es gab schon vor längerer Zeit eine Aussprache zwischen den Fraktionspräsidenten und dem Stadtrat», sagt Christian Griesser, Fraktionspräsident der Grünen. Keine Partei habe Interesse an einer Verkleinerung des Stadtrates gezeigt. «Das wurde aber nie so kommuniziert und die Verwaltungsreform versandet jetzt einfach. Ein klarer Kommunikations-Flop.» Griesser findet eine Verkleinerung grundsätzlich falsch. «Das würde bedeuten, dass gewisse Parteien nicht mehr vertreten wären.» Und die Grünen könnte es zuerst treffen: Ihr Stadtrat Matthias Gfeller wird bei den nächsten Erneuerungswahlen 61 Jahre alt sein; im Zuge der Wärmering-Affäre forderte der damalige Parlamentspräsident Markus Wenger (FDP) Gfellers Rücktritt.

Wenig Sparpotential

Gegen die Reform spricht für Griesser auch, dass mit «5 statt 7» nicht viel gespart werden könnte. «Die Aufgaben müssten an zusätzliche Verwaltungs-Chefs übertragen werden. Und die verdienen nicht viel weniger als ein Stadtrat.» Die Präsidenten aller Fraktionen sind sich in diesem Punkt einig, dennoch werden Forderungen laut. Daniel Oswald, Chef der SVP-Fraktion, ist nicht grundsätzlich gegen eine Verwaltungsreform. «Allerdings müssten die Kosten auf allen Führungsebenen reduziert werden», sagt Oswald. «Eine Reduktion bedingt aber, dass Aufgaben wegfallen.»

Dieses Szenario überlegt sich auch Lilian Banholzer, welche die EVP-Fraktion präsidiert. «Wenn die Stadtwerke tatsächlich verselbständigt werden, würden die Aufgaben eines Departements praktisch ganz wegfallen.» Trotzdem ist sie skeptisch und findet es sinnvoll, dass die Verkleinerung nicht auf die Wahlen 2018 kommt. Man sei ja noch an der Umsetzung der Sparmassnahmen.

«Die Verschiebung der Reform deute ich so, dass der Stadtpräsident selber nicht mehr voll von einer Reduktion überzeugt ist», sagt SP-FraktionschefSilvio Stierli. Er gehe davon aus, dass die Verkleinerung nicht mehr kommen werde. «Die jetzige Grösse des Stadtrates ist richtig.» Bei sieben Stadträten hätten auch kleinere Parteien die Chance auf einen Sitz. Ein Punkt, auf den fast alle Fraktionspräsidenten zu sprechen kommen.

Nicht so bei der GLP. Mit sieben Vertretern sind die Grünliberalen stärker im Parlament vertreten, als die Regierungsparteien CVP und Grüne. Trotzdem gelang der GLP nie der Sprung in die Exekutive. Co-Präsident Beat Meier versuchte es bei den Wahlen 2014, FraktionspräsidentMichael Zeugin scheiterte zuvor zweimal knapp. Zeugin kritisiert die Regierung scharf dafür, dass sie die Verwaltungsreform nicht durchzieht wie geplant: Die neue Regierung habe bei den Wahlen viel versprochen und müsse jetzt zurückkrebsen. «Offensichtlich ist da der Retourgang drin».

Viele offene Sparprojekte

«5 statt 7» ist laut Zeugin nur eines von vielen verschobenen Projekten. «Ich denke da zum Beispiel an die Einsparungen bei der MSW oder die Verselbständigung der Stadtwerke.» Grundsätzlich fände er die Idee spannend, mittels einer Verschlankung der Verwaltung zu sparen. Wie die SVP sieht er aber Handlungsbedarf auf allen Ebenen, nicht nur beim Stadtrat.

«Der Stadtrat hat die Prioritäten richtig gesetzt, indem er die Reform nicht vorangetrieben hat», sagt Stefan Feer, Fraktionspräsident der FDP. Eine Verkleinerung wäre laut Feer falsch, denn schliesslich werde auch das Führen einer Stadt immer komplexer. Zudem bedeute ein grosser Stadtrat mehr Bürgernähe. «Je mehr gewählte Leute der Verwaltung gegenüberstehen, desto besser.»

Auch CVP-Fraktionspräsident Matthias Baumberger hat nie an die Ankündigung seines Parteikollegen Künzle geglaubt: «Ich bin nie davon ausgegangen, dass die Verkleinerung kommt. Keine Regierung der Welt hat sich jemals selbst verkleinert.» Baumberger spielt das Szenario der Wahl 2018 durch: «Ich vermute, dass Herr Gfeller zurücktreten wird.» Es würden also noch sechs Kandidaten antreten. «Es kann nicht im Interesse der Exekutive sein, dass einer von ihnen über die Klippe springen muss.»

 

Text: Manuel Frick
Zeichnung: Ruedi Widmer
Publiziert: 11.06.2016
Medium: Der Landbote
Original-Titel: Der Stadtrat speckt doch nicht ab